…in a mirror, darkly…

für Violine, Cello und Klavier (2023)

 

Information

Nationalhymnen sind ein nicht immer einfaches Zeugnis der Geschichte eines Landes. Sie können historisch belastet sein oder unter völlig anderen gesellschaftlichen Umständen entstanden sein, die einem heute fremd sind. Häufig erzählen sie vom Ringen um Frieden und Souveränität, viele haben einen militärischen Gestus, kraftvoll, auftrumpfend. Die französische Nationalhymne, die Marseillaise, ist ein besonders drastisches Beispiel für einen solchen Text, entstanden während der französischen Revolution zur Mobilisierung des Volkes gegen eine als ungerecht empfundene Herrschafts- und Gesellschaftsordnung. Und obwohl das Anliegen der Revolutionäre gut und wichtig war, wird man den im Lied besungenen Blutdurst einseitig und wenig aufgeklärt finden müssen. In Zeiten komplizierter, vielschichtiger Konflikte jedenfalls kann eine solche Geisteshaltung nichts zu einer friedlichen, vernunftgesteuerten Problemlösung beitragen. Diese Komposition ist anlässlich eines Konzertes zum Thema Frieden entstanden, während am Rand von Europa der Ukrainekrieg tobt. Sie ist als persönlicher Kommentar zu verstehen: Kriege sind immer Tiefpunkte der Menschheit, das Töten von Menschen verdient keine heroischen Lieder. Das Anliegen der Komposition ist es daher, die Marseillaise musikalisch in ihrer ganzen Zerrissenheit zu zeigen, ihr die militärischen Flügel zu stutzen und ihr die Komplexität des Krieges, den sie besingt, zurückzugeben. Der Titel des Stück, ein Zitat aus dem Buch Kohelet, beschreibt das kompositorische Prinzip des Stückes: die eingängige Melodie der Marseillaise verschwindet hinter einem trüben Schleier, verliert ihr Marschcharakter und ist nun eingebettet in zarte Klanggesten. Die Töne der Melodie sind dabei fast durchgehend Grundlage für die Motive der Komposition, auch wenn es nicht immer hörbar wird.

National anthems are not always a simple testimony to a country's history. They can be historically charged or have been created under completely different social circumstances that are unfamiliar today. They often tell of the struggle for peace and sovereignty, many have a military gesture, powerful and defiant. The French national anthem, the Marseillaise, is a particularly drastic example of such a text, written during the French Revolution to mobilize the people against a ruling and social order that was perceived as unjust. And although the revolutionaries' cause was good and important, the thirst for blood sung about in the song must be seen as one-sided and unenlightened. At any rate, in times of complicated, multi-layered conflicts, such a mindset can contribute nothing to a peaceful, reason-driven solution to problems. This composition was written on the occasion of a concert on the theme of peace, while the war in Ukraine is raging on the outskirts of Europe. It is to be understood as a personal commentary: Wars are always low points of humanity, the killing of people does not deserve heroic songs. The aim of the composition is therefore to show the Marseillaise musically in all its conflicting aspects, to clip its military wings and give it back the complexity of the war it sings about. The title of the piece, a quotation from the Book of Kohelet, describes the compositional principle of the piece: the catchy melody of the Marseillaise disappears behind a murky veil, loses its marching character and is now embedded in delicate sound gestures. The notes of the melody are the basis for the motifs of the composition almost throughout, even if this is not always audible.